Die Alte Nationalgalerie wurde am 21. März 1876 auf der Museumsinsel eingeweiht. Mit der Berufung Ihres ersten Direktors, Max Jordan (1874-1895), wurde zugleich das Büro der Nationalgalerie im Jahre 1874 eröffnet. Von diesem Zeitpunkt bis zur historischen Zäsur im Jahre 1945 umfasst der Aktenbestand der Nationalgalerie einen Zeitraum von nur 71 Jahren. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass im Verlauf dieser historisch kurzen Zeit, ein Aktenbestand von rund 50 laufenden Metern erwachsen ist, der, von geringen Verlusten abgesehen, die Zeitläufe überdauert hat. Der im Zentralarchiv aufbewahrte Aktenfundus gewährt aufschlussreiche Einsichten in Aufbau, Struktur und Arbeitsweise dieses Kunstinstitutes. Das Schriftgut dokumentiert nicht nur die Veränderungen im Hauptgebäude, im sogenannten „Stammhaus", sondern auch das Werden und Vergehen der verschiedenen Dependancen; der Bildnissammlung (Bauakademie), des Rauch-Museums (Orangerie des Charlottenburger Schlosses), der Modell- und Abguss-Sammlung (Landesausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof, Stadtbahnbögen), der Sammlung der Moderne (ehemaliges Kronprinzen-Palais) sowie dem daran anschließenden Schinkel-Museum mit den Kunstsammlungen Beuths (Prinzessinnen-Palais). Zugleich belegen die Akten die vielfältigen Betriebsabläufe der Galerie wie zum Beispiel zur Ausstellungstätigkeit und zu den Erwerbungsvorgängen, zum Leihverkehr und zu Restaurierungsmaßnahmen, auch zu Korrespondenzen mit Fachkollegen oder Privatpersonen sowie mit vorgeordneten Stellen, die in der Regel Berichte und Stellungnahmen aber auch Streit- und Denkschriften enthalten. Ergänzt werden die Bestände durch Personalakten, die ein Bild über Herkunft, Entwicklung und Stand der Person vermitteln und dem Leser eine Hilfe bieten, deren Motivation und Handlungsweise erkennen und nachvollziehen zu können. Da die Nationalgalerie immer vorrangig ein Museum der Gegenwart gewesen ist, sie sich mit der jeweils zeitgenössischen Kunstszene auseinanderzusetzen hatte, sind auch deren Schriftgutbestände für die kunsthistorische Forschung von besonderem Wert. Gespiegelt werden nicht nur die glanzvollen Höhepunkte zur Zeit der Einrichtung und Eröffnung der Galerie, sondern auch die restriktiven Verhältnisse in der Wilhelminischen Ära. Aufgezeigt werden die hoffnungsvoll betriebenen Neugründungen wie zum Beispiel die Sammlung der Moderne, auch „Museum der Lebenden" genannt, oder die Edition der Zeitschrift „Museum der Gegenwart" in den Weimarer Jahren, aber auch deren rückläufige Entwicklungen bis zum Niedergang und der Herrschaft des Nationalsozialismus. Die schrittweise Gleichschaltung der Museen ist ebenso aktenkundig wie die empfindliche Dezimierung eines großen Teils des Museumspersonals durch Einberufungen zum Wehrdienst im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. Die verheerenden Auswirkungen der Aktion „Entartete Kunst" im Jahre 1937 und die Zerstörungen der Museumsgebäude gegen Ende des Krieges sind ebenfalls in Schrift und Bild dokumentiert. Die Geschichte der Nationalgalerie ist zwischen 1874 und 1945 in allen Phasen in den Akten überliefert. Die vollständig erhaltenen Postjournale (1874 - 1949) und ein Index für die Jahre 1914 -1949 ermöglichen den lückenlosen Zugang zu allen im Büro der Nationalgalerie registrierten Schriftstücke. Es können zum Beispiel alle künstler- und sammlungsspezifischen Briefeingänge oder Institutionen betreffende Anfragen oder Mitteilungen erfasst und dokumentiert werden. Die Ordnung der Akten erfolgt nach Sachgruppen, die in sich chronologisch gegliedert sind. Überliefert sind unter anderem Ausleihungen von Kunstwerken, alle Gebäude betreffende Bausachen, Leihnahmen, Sonderausstellungen, Ankauf von Kunstwerken mit den Beratungen der Landeskunstkommission, Angebote von Gemälden, Bildwerken und Handzeichnungen sowie die Versicherung fremder Kunstsachen, dabei die schriftlichen Überlieferungen zur Aktion Entartete Kunst". Vorhanden sind weiter Schriftgutbestände der Galerie zugedachter Geschenke, Vermächtnisse und Stiftungen, der Aufstellung von Kunstwerken sowie die Einrichtungsakten der Bildnis-Sammlung, der Sammlung der Moderne, des Schinkel-Museums mit den Sammlungen Beuths und des Rauch-Museums. Es gehören dazu die Akten zu Vereins- und Personalangelegenheiten bis hin zu der mit 680 Akteneinheiten umfangreichsten Sachgruppe, den Künstlerspezialakten. Die Aktenreihen Ankäufe, Leihnahmen, Bausachen und Aufstellung der Kunstwerke dokumentieren die reiche Ausstattung des Hauses, das seitens des 1871 begründeten Kaiserreiches nicht nur als Sammelstätte vorwiegend preußischer Kunst, sondern in ihrer Ausstrahlung auch als Ruhmeshalle hohenzollernschen Geschichtsverständnisses, als „steingewordenes" Symbol der unlängst erlangten Macht interpretiert wurde. Aus den Leihakten wird ersichtlich, dass die Nationalgalerie seit Anbeginn als Leihgeber, als Ausstatter öffentlicher Einrichtungen und Behörden fungierte. Es wurden Museen, Landes- und Reichsbehörden, aber auch die deutschen Botschaften im Ausland mit Kunstwerken ausgestattet. Die Museen von Aachen bis Wuppertal-Elberfeld wurden ebenso bedient wie die Regierungs- und Oberpräsidenten der preußischen Provinzen, wobei die staatlichen und öffentlichen Einrichtungen der Hauptstadt Berlin mit über 90 Leihnehmern den größten Raum einnahmen. Neben der Befriedigung des Repräsentationsbedürfnisses vorgeordneter Stellen zeigen die Akten auch, dass mit dieser großzügigen Leihgabenpraxis seitens der Direktion auch ureigene Interessen verfolgt wurden. Hugo von Tschudi (Direktor 1896-1908) wollte nicht wie sein Vorgänger „patriotische Rücksichten" nehmen und sah vor, die vaterländischen Porträts und anderes „Minderwertige" aus der Galerie zu entfernen. Die Beseitigung der Raumnot in der Galerie erwirkte sogar die Zustimmung des Ministers, eine Liste der entbehrlichsten Kunstwerke zu erstellen, die dann je nach Bedarf als Leihgaben abgegeben werden konnten. Das Schriftgut zu den Sonderausstellungen bildet eine weitere umfangreiche Aktenreihe. Für die Jahre 1876 bis 1944 sind ohne Verluste über 230 Akteneinheiten überliefert. Monographische Ausstellungen, die zugleich als Verkaufsausstellungen fungierten, wurden in der Regel nach dem Ableben des Künstlers veranstaltet. Dabei finden sich in den Akten verschiedentlich auch Listen mit Besucherzahlen, Kostenaufstellungen zur Ausschmückung der Ausstellungssäle sowie kleine, schmale Kataloge mit zumeist von Hand eingetragenen Verkaufserlösen, die einen Rückschluss auf die Wertschätzung des jeweiligen Künstlers zulassen. Vorhanden sind ebenfalls Akten über die Einrichtung und Ausstattung der Nebengebäude der Nationalgalerie. Als erste Außenstelle wurde 1913 die Bildnis-Sammlung in der Schinkelschen Bauakademie eingerichtet. Justi griff einen seit über vier Jahrzehnten zurückliegenden und immer wieder aufkeimenden Gedanken einer Vaterländischen Porträtgalerie auf und konzipierte dafür großzügig die gesamte Bauakademie. Er erhielt jedoch nur neun Räume im Mittelgeschoß des Gebäudes zugewiesen, die er mit Fürstenbildnissen, Porträts von Generalen und Gelehrten, Wissenschaftlern und Technikern sowie Künstlerbildnissen ausstattet. Der verlorene Erste Weltkrieg, die Revolution und die Errichtung der Weimarer Republik konnten auf die Nationalgalerie wie auch auf die Bildnis-Sammlung nicht ohne Einfluss bleiben. Nach einer längeren Phase der Neuordnung wurde die Bildnis-Sammlung, jetzt weniger der Herrscher- und Militärgeschichte, sondern vorwiegend der deutschen Geistesgeschichte gewidmet, im Juni 1929 der Öffentlichkeit übergeben. Ihr Bestand währte nur bis zum Herbst 1933, wo sie dem zurückgeführten Schinkel-Museum weichen musste. Ein letzter Versuch anlässlich der 700-Jahrfeier der Stadt Berlin, die Bildnis-Sammlung in das ehemalige Kronprinzen- Palais zu integrieren und als Dauerausstellung präsent zu halten, scheiterte. Im Herbst 1937 wurde mit der Schließung des ehemaligen Kronprinzen-Palais auch die Bildnis- Sammlung endgültig abgebaut. Die Akten der Nationalgalerie dokumentieren auch die wechselvolle Geschichte weiterer Außenstellen, so die des Rauch-Schinkel-Museums und des Schinkel-Beuth- Museums, Einrichtungen jener großen Künstlerpersönlichkeiten, die das Kunstleben Berlins im 19. Jahrhundert wesentlich bestimmt hatten. Nachdem das Gebäude des ehemaligen Rauch-Museums in der Klosterstraße 1914 für den Abriss verkauft worden war, wurde der künstlerische Nachlass Rauchs in die ehemaligen Bildhauerwerkstätten der Hochschule der Bildenden Künste in Charlottenburg verbracht. Nach Umgestaltung des Gebäudes sollte hier im Obergeschoß auch der bisher in der Bauakademie beherbergte künstlerische Nachlass Karl Friedrich Schinkels sein Domizil finden. 1923 waren die Umbauarbeiten vollendet und das Rauch-Schinkel-Museum in der Hardenbergstraße hätte eröffnet werden können. Aber Ludwig Justi, mit der Aufstellung der Werke beauftragt, lehnte dies aus künstlerisch-ästhetischen und museal-praktischen Erwägungen ab. Da das Gebäude zugunsten einer Erweiterung der Technischen Hochschule 1928 abgetragen werden musste, waren für die Sammlungen neue Lösungen zu finden. Die Bestände wurden wieder getrennt und das Rauch-Museum fand in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses ein neues Domizil, das im Herbst 1930 eröffnet wurde. Für den künstlerischen Nachlass Schinkels fand sich eine attraktive Lösung im Prinzessinnen- Palais, das der Nationalgalerie 1928 zur Nutzung überwiesen worden war. Im Obergeschoß gelangte das eigentliche Schinkel-Museum mit Gemälden, Zeichnungen und Entwürfen des Meisters zu einer großzügigen, lockeren Präsentation, und das Untergeschoß blieb, neben einem Studiensaal für die Schinkelzeichnungen, den Kunstsammlungen Beuths vorbehalten. Am 13. März 1931, dem 150. Geburtstag Schinkels, wurde das Schinkel-Beuth-Museum feierlich eröffnet. Die veränderten politischen Verhältnisse des Jahres 1933 sorgten auch hier für ein abruptes Ende. Alois Schardt, 1933 für wenige Monate kommissarischer Leiter der Nationalgalerie und mit der Neuorganisation der Sammlung der Moderne im ehemaligen Kronprinzen-Palais betraut, ließ das Schinkel- Museum abbauen und verwies es zurück an die Bauakademie, wo es anstelle der ebenfalls abgebauten Bildnis-Sammlung, erneut Aufstellung fand. Umfangreich ist der Aktenbestand zur wichtigsten Dependance der Nationalgalerie, der Sammlung der Moderne im ehemaligen Kronprinzen-Palais. Ihr Wachstum, ihre aufsehenerregenden Sonderausstellungen sowie ihr Niedergang in der Aktion „Entartete Kunst" werden in den schriftlichen Quellen vielfach dokumentiert. 1919 bekam Ludwig Justi auf wiederholten Antrag einen Teil des Hauses, später das gesamte Haus zugewiesen. Hier präsentierte er Werke jener avantgardistischen Künstlerpersönlichkeiten, von denen hier nur Paul Klee, August Macke, Franz Marc, Ernst Ludwig Kirchner, Lyonel Feininger und Otto Mueller genannt sein sollen. Ausstellungen aus Berliner Privatbesitz gehörten ebenso dazu wie die Sonderschau junger Italienischer Kunst „Valori plastici" und die Überblicksausstellungen Dänischer und Norwegischer Malerei. Ebenso ist umfangreiches Aktenmaterial zur „Oslo-Ausstellung" vorhanden - einer Überblicksschau neuerer deutscher Kunst -, die durch Skandinavien geschickt wurde und letztmalig vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten die Moderne im Ausland präsentierte. Nach 1933 organisierte die Nationalgalerie nur noch gemeinsam mit den Staatlichen Museen eine Reihe von Ausstellungen unter dem Titel „Deutsche Kunst seit Dürer", die über die Jahrhunderte zurückgreifend allgemeine Themen wie „Das Bildnis", Der Tanz", „Das Stilleben" oder „Das Ereignisbild" und Das „Sittenbild" zusammenstellten. Aus Anlass der Olympischen Spiele 1936 in Berlin veranstalteten die Museen eine umfangreiche, repräsentative Ausstellung „Große Deutsche in Bildnissen ihrer Zeit", die jeweils die besten zeitgenössischen Darstellungen bedeutender Persönlichkeiten des deutschen Sprachraumes zusammenfassten. Allein 43 Akteneinheiten bezeugen nicht nur den Umfang der Sonderausstellung, sondern belegen auch das kulturpolitische Anliegen dieser Präsentation. Eberhard Hanfstaengl (Direktor 1934, ab 1937 beurlaubt, 1939 in den Ruhestand versetzt) hatte versucht, die Galerie der Moderne durch leichte Veränderungen zu erhalten. Er ließ die „problematischen" figürlichen Darstellungen durch weniger aufsehenerregende Stillleben und Landschaftsdarstellungen der gleichen Künstler ersetzen. Seine Handakten der Jahre 1934 und 1935 bezeugen sein zurückhaltendes, diplomatisches Vorgehen in allen künstlerischen und kulturpolitischen Belangen, die seine Funktion als Leiter der Nationalgalerie betrafen. Im Zusammenwirken mit dem Generaldirektor der Museen, Otto Kümmel, und in Abstimmung mit dem Kultusministerium gelang es ihm, die Nationalgalerie dem drohenden Zugriff Joseph Goebbels zu entziehen, der die Galerie der Reichskammer der bildenden Künste zu unterstellen gedachte. Damit war es dem Direktor der Nationalgalerie möglich, die vielfach ihm angetragenen Ausstellungsgesuche zweit- und drittklassiger, sich vorwiegend national gebärdender Künstler abzuweisen. Auch schien es Hanfstaengl opportun, die Sammlung der Moderne im Obergeschoß des Kronprinzen-Palais während der Olympischen Spiele für das Publikum offen zu halten, bevor im Sommer 1937 die endgültige Schließung des Hauses verfügt wurde. Mit der Aktion „Entartete Kunst" fand 1937 eine Entwicklung ihr Ende, die 1919 mit der Einrichtung der „Galerie der Lebenden" begonnen hatte. Die Akten der Nationalgalerie gestatten einen präzisen Überblick über den Ablauf der Aktion „Entartete Kunst" in der Galerie. Vorhanden sind protokollarische Niederschriften über die Rundgänge der Beschlagnahmekommissionen und deren Wirken in den Sammlungen und Depots. Akribisch ausgeführte Beschlagnahme- und Transportlisten sowie die angeordnete Beendigung der Versicherung der ausgesonderten Kunstwerke und deren Löschung in den Inventaren offenbaren die Tragik dieser Vorgänge. Die überlieferten Auslagerungslisten und Transportverzeichnisse geben Auskunft über die vielfältigen Bemühungen der Museumsmitarbeiter, die Kunstwerke nach Ausbruch des Krieges geschützt unterzubringen. Die Werke wurden zunächst in den Kellerräumen derjenigen Häuser untergebracht, in denen sie sich befanden. Gemälde und Bildwerke der ersten und zweiten Kategorie verbrachte man im Verlauf des Krieges in die Tiefenkeller der Reichsbank, später in die Flaktürme am Zoo und im Friedrichshain. Gegen Ende des Krieges erfolgten wiederum Gemäldetransporte aus dem Flakturm Friedrichshain in das Werragebiet nach Merkers und aus dem Flakturm am Zoo nach Grasleben im Harz. Das Stammgebäude der Nationalgalerie und ihre Nebenhäuser wurden gegen Ende des Krieges schwer getroffen und weitgehend zerstört. Die Akten der Nationalgalerie wurden nicht ausgelagert, sie verblieben in der Registratur im Erdgeschoß des Stammhauses. In den Wirren der letzten Kriegstage gerieten sie aus der Ordnung und mussten nach Kriegsende aus verschiedenen Kellern und Nebengelassen zusammengetragen werden. Die Akten bezeugen das Chaos der letzten Kriegstage, aber auch die außergewöhnlichen Schwierigkeiten des Neuanfangs. Die Dächer der meisten Häuser waren zerstört, die Einrichtungen, soweit sie den Krieg überdauert hatten, blieben vorerst den Witterungsunbilden ausgesetzt. Es gab weder Heiz- noch Baumaterial, selbst das Papier war knapp, so dass die Protokolle der ersten Nachkriegs-Direktorenkonferenzen auf kleinen holzhaltigen A-5 Blättern, doppelseitig und einzeilig eng beschrieben, einerseits formal den Eindruck äußerster Not und Mühsal vermitteln, andererseits durch das zielstrebige und selbstlose Handeln der verbliebenen Museumsmitarbeiter wiederum Zuversicht ausdrücken.
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